Es geht darum, dass wir alle, jede und jeder, in Frieden seine Wege gehen kann und dabei die anderen nicht aus dem Blick verliert. Die Kirche von ihrem Auftrag her ist Anwältin für den Menschen, weil sie ihn sieht als von Gott geschaffen, als sein Ebenbild. Welche Würde! Angesichts der internen Krisen und der scharenweisen Austritte verliert die Kirche immer mehr an Kraft und gesellschaftlicher Relevanz. Wer steht ein für den Menschen, unabhängig was er/sie für das Bruttos0zialprodukt bringt? Wer steht heute ein dafür, dass es um den Menschen geht und nicht nur um Profit?
Darum braucht es Menschen, die sich von Jesus ansprechen lassen und seinem Ruf folgen. Wir haben gehört, dass das anspruchsvoll ist, nicht beliebig. Radikal, hat es am Bibelabend geheißen. Ja radikal, den Ursprung betreffend, so wie Gott die Welt und den Menschen darin gedacht hat. Nämlich dass Gott sah, dass alles gut ist. Das können wir heute beileibe nicht mehr sagen, dass alles gut ist, wenn wir die großen und kleinen Konflikte in der weiten Welt und bei uns anschauen. Wenn wir sehen, wie mit den Ressourcen der Erde umgegangen wird. Nein, das ist nicht alles gut. Und deshalb braucht es diese Radikalität, diese Ursprünglichkeit. Radikalität ist nicht zu verwechseln mit Fundamentalismus. Radikalität hat nichts mit Moralismus zu tun und überfordert nicht. Radikal heißt zuerst, sich von Jesus und seiner Botschaft ansprechen zu lassen. Radikal heißt fasziniert sein von der Vision einer neuen Welt, wie Jesus sie uns in der Bergpredigt gezeichnet hat: selig die Armen, die Trauernden, die Frieden stiften … . Und auch im Evangelium heute. „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ Also es geht um’s Gewinnen, es geht um’s Finden. Es geht um den Lebensgewinn, um’s Finden des richtigen Weges zu einem geglückten und gelingenden Leben. Allen auf der Suche kommt Jesus in die Quere. Sie sind glücklich, weil sie Jesus gefunden haben oder weil Jesus sie gefunden hat. Sie fühlen sich angezogen von ihm. Sie merken, es geht um mehr als darum, sich am Morgen zu erheben, das Seine zu tun und am Abend sich hinzulegen. Sie spüren, dass in seinen Worten eine andere Wirklichkeit durchscheint, die über das Alltägliche hinausführt. Sie glauben Jesus, sie trauen ihm und folgen ihm nach. Umso mehr, weil er für sie den Weg ohne Menschenfurcht zu Ende gegangen ist und trotz Todesangst sein Leben am Kreuz hingegeben hat. Im Zugrundegehen, im Hinabsteigen in das Reich des Todes liegt die Erlösung. Leichter war sie anscheinend nicht zu haben. Das Zugrundegehen ist die Voraussetzung für die Auferstehung. Es braucht den Weg zum Grund, den Weg der nicht immer einfachen Selbsterkenntnis, um das Leben zu finden. Es ist scheinbar paradox: anstatt am Leben festzuhalten findet es den Sinn im Loslassen. Also es braucht ein nicht immer mehr. Es braucht nicht ein immer Mehr an Selbstverwirklichung. Es braucht: sein Kreuz annehmen und hinter Jesus hergehen. Das überfordert nicht. Jesus spricht sogar von der leichten Last (Mt 11,28−30). Wir sind ja nicht allein in der Spur Jesu. Im Volk Gottes trägt einer des anderen Last, kümmert sich eine um den anderen. So ist es gedacht.
Wenn ich in die Runde schaue, ist mir klar: es braucht jede und jeden von uns, damit unsere Welt menschlich bleibt und dass es schön ist, darin zu leben.
Wir feiern jetzt Eucharistie. Mit den Gaben wird auch das Unsere zum Altar gebracht, auf dass es verwandelt wird und uns zur Nahrung werde und uns Kraft gebe, heute und für die kommende Zeit.
Amen.
Ludwig Raischl, Direktor im Haus der Begegnung HEILIG GEIST